Die Neuraltherapie ist in der Medizin eine vergleichsweise noch sehr junge Therapieform, die gerade bei der Behandlung von Schmerzen und chronischen Entzündungen gute Erfolge erzielt hat. Wir haben Prof. Dietrich Baumgart, renommierter Internist und Kardiologe im Preventicum mit Standorten in Düsseldorf und Essen, gefragt, wie die Neuraltherapie funktioniert und welche Erfahrungen er damit bereits gemacht hat.

Herr Prof. Baumgart, was verstehen Sie unter Neuraltherapie?

Prof. Dietrich Baumgart: Die Neuraltherapie ist ein „ganzheitliches“ Therapie- und Diagnoseverfahren, das durch die deutschen Brüder Ferdinand und Walter Huneke vor rund 80 Jahren entwickelt wurde. Ziel ist die Selbstheilung des Organismus über das vegetative Nervensystem mittels Injektionen eines kurz wirkenden Lokalanästhetikums, das Procain, zu fördern beziehungsweise wieder herzustellen.

Wann kommt diese Therapieform zum Einsatz?

Prof. Dietrich Baumgart: Die Einsatzmöglichkeiten sind ausgesprochen vielfältig. So wenden wir die Neuraltherapie beispielsweise bei Schmerzzuständen wie Migräne, Kopf-, Nacken-, Rückenschmerzen, Fibromyalgie oder Gelenkbeschwerden an. Auch bei funktionellen Störungen, ich denke da an Herzrhythmusstörungen, Zyklusstörungen, Harnwegserkrankungen oder unerfülltem Kinderwunsch, arbeiten wir mit dieser Therapieform, die auch bei vegetativen Störungen, wie Stress oder Schlafstörungen helfen kann. Die Neuraltherapie eignet sich besonders gut, um entzündliche Erkrankungen – auch chronische – zu behandeln.

Wie funktioniert die Neuraltherapie?

Prof. Dietrich Baumgart: Nach Anamnese und Diagnose erfolgte die Therapie über die drei Therapiesäulen: Das ist erstens die Segmentherapie von Triggerpunkten, Schmerzpunkten, Kontrakturen etc. Zum zweiten die erweiterte Segmenttherapie mit der Behandlung von Head`schen Zonen, Spinalnervsegmenten, Gefäßen und Ganglien sowie zum dritten die sogenannte „Störfeldtherapie“ mit der Behandlung von Narben, Zähnen, Nasennebenhöhlen, Tonsillen und Ohr. Das Störfeld ist meist asymptomatisch. So können beispielsweise chronisch entzündete Mandeln – die Tonsillen – als Störfeld bei verschiedenen Menschen ganz unterschiedliche Krankheiten auslösen, wie Gelenkrheuma, Grüner Star oder ein Bandscheibenleiden, Asthma usw. Die Störfelder werden durch eine sorgfältige Voruntersuchung erkannt. 

Der Hintergrund der drei Säulen ist der segmentreflektorische Komplex. Das bedeutet, dass Informationen aus der Haut, Muskulatur und der Gefäße zum Hinterhorn (Rückenmark)  gelangen und von dort weitergeleitet werden. Bestehen viele Störungen kommt es zur Reizüberflutung des Hinterhorns und der auslösende Reiz kann nicht mehr gelöscht werden. Mit der Folge, dass die Probleme beziehungsweise Symptome irgendwohin projiziert werden, wie eben am Beispiel der chronisch entzündeten Mandeln geschildert. Zusätzlich wird das vegetative Nervensystem über die Sympathische-adrenerge-medulläre-Achse (SAM-Achse-schnell) und die Hypothalamus-Hypophysen-Adrenale-Achse (HPA-Achse-verzögert)– das ist die Verbindung Gehirn zwischen Rückenmark –  aktiviert.

Können  Störfelder gezielt ausgeschaltet werden?

Prof. Dietrich Baumgart: In der Neuraltherapie spricht man von der Löschung von Störfeldern. Durch die Unterbrechung des segmentreflektorischen Komplexes kann ein Störfeld gelöscht werden, das heißt, durch die Injektion an das Störfeld mit Procain kommt es zur Unterbrechung der Reizweiterleitung an das Hinterhorn und damit zur Unterbrechung der Weiterleitung ans Gehirn. Man könnte auch sagen, es wird der Reset-Knopf gedrückt und das System kann wieder neu booten.

Wirkt eine Injektion sofort?

Prof. Dietrich Baumgart: Viele Injektionen wirken sofort und bringen oft sogar komplette Schmerzfreiheit. Letztlich ist die Wirkung von der Ursache abhängig. Von Fall zu Fall bedarf es im Verlauf weiterer Behandlungen.

Sie sind häufig in China unterwegs. Welche Erkenntnisse bringen Sie mit nach Deutschland?

Prof. Dietrich Baumgart: Ich beschäftige mich schon seit Jahren mit Akupunktur. Die Neuraltherapie bedient sich wie die Akupunktur dem segmentreflektorischen Komplex und wirkt daher synergetisch beziehungsweise ergänzend oder hilft dort,  wo die Akupunktur nicht oder nicht ausreichend helfen konnte. Insofern sehe ich diese beiden Therapieformen als komplementär.

Es gibt Diskussionen ob der Wirksamkeit der Neuraltherapie. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?

Prof. Dietrich Baumgart: Die Praxis zeigt eindeutig die Wirksamkeit, insbesondere als integraler Bestandteil einer ganzheitlichen Behandlung des Patienten. Der ganzheitliche Ansatz ist ja in unserer Behandlungsphilosophie festgeschrieben. Gesundheit ist für uns demnach nicht nur körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, sondern auch das individuelle Gefühl sich wohlzufühlen. Daher beraten wir unsere Patienten stets ganzheitlich und bieten Ihnen begleitende Therapien, die sie bei ihren medizinischen Anliegen oder bei der Umstellung ihres Lebensstils unterstützen.

Und Sie arbeiten ganz bewusst interdisziplinär …

Das ist richtig. Je mehr Diagnosedaten vorliegen, umso höher ist die Sicherheit für den Patienten. Gleichermaßen wichtig für ein präzises Gesamtbild ist eine gute fächerübergreifende Abstimmung. Vor allem komplexe Krankheitsbilder bedürfen einer interdisziplinären Diagnostik. Bei uns arbeitet ein kompetentes Team von über 12 Professoren und Fachärzten Hand in Hand, um ohne lange Wartezeiten die verschiedensten medizinischen Fragestellungen umfassend und effizient klären zu können. Ferner gehören Sicherheit und Vertrauen – das sind für uns die elementaren Bausteine einer medizinischen Behandlung – dazu. Daher legen wir viel Wert auf ein transparentes, offenes Miteinander zwischen Arzt, behandelndem Hausarzt und Patient. Bei uns erhält der Patient stets eine unabhängige medizinische Beratung, bei der nur eines im Mittelpunkt steht: seine Gesundheit.

von Dr.Eike Birck

Foto: © Preventicum Facharztzentrum