TradeTalk hat die traditionsreiche Glockengießerei Cornille-Havard, in der heute noch zehn Glockengießer arbeiten, im normannischen Villedieu-les-Poeles besucht. Dass Villedieules- Poeles früher häufig auch als Stadt der „Tauben“ bezeichnet wurde, hat übrigens damit zu tun, dass die laute Arbeitsumgebung oftmals zur Taubheit führte. „Selbst Gott braucht die Werbung. Er hat Glocken.“ Besser als der französische Schriftsteller und Journalist Aurelien Scholl (1833-1902) konnte unser Verhältnis zu diesem wuchtigen Stuck Klanggenuss aus Bronze, das uns auf so vielen Wegen des Lebens begleitet, nicht beschrieben werden.

Die Zeit scheint stillzustehen

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Auch die Friedensglocke in der Kathedrale von Bayeux kommt aus unserer Glockengießerei“, erzählt Monsieur Bergamo zu Recht nicht ohne Stolz

„Jede Glocke ist einzigartig und soll sich mit dem Ort, wo sie hangt, identifizieren“, meint Paul Bergamo, seit dem Jahre 1981 Eigentümer der geschichtsträchtigen Werkstatt aus dem Jahr 1862, dem wir auf dem Hof der Glockengießerei begegnen. In der alten Werkstatt scheint tatsachlich die Zeit stehengeblieben zu sein. Und wurde Anthony Quinn als legendarer Quasimodo um die Ecke schauen, wurde dies keinen sonderlich wundern. Statt des Glockners von Notre-Dame begrüßt uns mit einem lockeren Handschlag Simon Tasset zum halbstündigen Rundgang. Rund 1.000 Besucher kommen jedes Jahr, um Zeugen des Traditionshandwerkes der Glockengießerei zu werden, das weltweit nur noch wenige Spezialisten beherrschen. „Die Form einer Glocke wird hier in drei Tagen aus spezieller Erde, aus Ziegenhaaren und Pferdemist – so wie vor 4.000 Jahren – hergestellt“, erzählt Simon in perfektem Deutsch. Anschaulich demonstriert er uns, wie in weiteren Arbeitsschritten beispielsweise Schablone und Aussenform entstehen, bevor die Glocke dann im historischen Ofen von 1861 in nur drei Minuten gegossen wird. Nach Sandstrahlung und Poliervorgang kann die Glocke schließlich gestimmt werden. Für das Wirtschaftsmagazin wollen wir natürlich auch wissen, was so eine Glocke aus 78% Kupfer und 22 % Zinn wert ist. „Pro Kilo liegt der Preis bei rund 50,– Euro – was bei einer Glocke schon mal 25.000,– Euro ausmachen kann“, meint Simon. Die schwerste Glocke hier bei Cornille-Harvard wurde mit stattlichen 6.350 Kilogramm übrigens im Jahre 2010 für eine katholische Kirche in Muhlhausen (F) gegossen.

Glocken für die ganze Welt1_2

Monsieur Bergamo, der inzwischen wieder zu unserer kleinen Gruppe gestoßen ist, erzählt, dass man in der Glockengießerei Cornille- Havard heute jährlich circa 200 bis 300 Glocken, von der Kirchen- bis zur Schiffsglocke, für die ganze Welt herstellt.

So wurden unter anderem erst kürzlich die neuen Glocken der Kathedrale Notre-Dame de Paris, die seit Marz 2013 dort erklingen, hier angefertigt. „Auch die Friedensglocke in der Kathedrale von Bayeux zum Gedenken an den D-Day kommt aus unserer Glockengießerei“, erzählt Monsieur Bergamo zu Recht nicht ohne Stolz. Eines können wir nach unserem Besuch in Villedieu-les-Poeles mit Sicherheit unterstreichen: Die Glocken von Cornille-Havard, die von Hanoi bis Kamerun lauten, sind eine ausgezeichnete Werbung für „Den da oben“.

von Dieter Knaut

Fotos (1+2): © TradeTalk

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