Wohlhabende und arme Menschen sparten in der Vergangenheit unterschiedlich. Aus der Vergangenheit lernen: Persönliche Erfahrungen und Erwartungen spielen eine große Rolle, wenn es um das Sparverhalten von Menschen geht. So beeinflussen die Erfahrungen mit einer Inflation in der Vergangenheit die aktuellen Erwartungen einer Person und damit auch ihre aktuellen Sparentscheidungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Hohenheim in Stuttgart. Die Wirtschaftshistorikerin Prof. Sibylle Lehmann-Hasemeyer, Ph. D., untersuchte mit ihrem Team, wie Sparer:innen bei konstanten Nominalzinsen auf eine Inflation reagieren. Anhand historischer Dokumente analysierten dazu die Forschenden das Sparverhalten deutscher Haushalte zwischen 1852 und 1965 vor dem Hintergrund mehrerer ökonomischer und politischer Krisen.
Seit 2016 müssen die europäischen Sparer:innen mit nominalen Nullzinsen zurechtkommen. In jüngster Zeit wurde dieser Mangel an rentablen Sparmöglichkeiten noch durch einen starken Anstieg der Lebenshaltungskosten verschärft, der durch steigende Mieten, Lebensmittel- und Energiepreise verursacht wird. Die Realzinsen sind also negativ und werden es auch bleiben, was bedeutet, dass viele Sparer:innen faktisch einen Rückgang ihres Vermögens befürchten müssen.
Mit welchen Anpassungen werden sie in einer solch widrigen Situation reagieren? Mit dieser Frage beschäftigte sich ein Team um Prof. Lehmann-Hasemeyer vom Fachgebiet Wirtschafts- und Sozialgeschichte mit Agrargeschichte. So ist die Spartätigkeit eines Haushalts beispielsweise höher, wenn er hohe Ausgaben in der Zukunft erwartet (Hausbau, Ausbildung der Kinder) oder sich gegen negative Ereignisse (Krankheit, Arbeitslosigkeit) absichern möchte.
Einen Rückgang der Spartätigkeit hingegen erwarteten die Forschenden, wenn Sparer:innen befürchten müssen, dass ihre Einlagen durch ökonomische oder politische Krisen (Inflation, Staatsbankrott, Krieg, Enteignung durch Unrechtsstaat) bedroht werden. Anreize weniger zu sparen entstehen aber auch dann, wenn der Staat höhere Transferleistungen anbietet, wie beispielsweise Renten oder Unterstützung bei Arbeitslosigkeit.
Sparverhalten deutscher Haushalte in Krisenzeiten der Vergangenheit
Anhand historischer Dokumente des Wirtschaftsarchivs Baden-Württemberg wie Sparbücher, Hauptbücher von Sparkassen oder Haushaltsbücher untersucht das Team um Prof. Lehmann-Hasemeyer das Sparverhalten deutscher Haushalte zwischen 1852 und 1965. „In diese Zeit fallen mehrere ökonomische und politische Krisen, die das Sparverhalten der Einzelnen nachhaltig beeinflusst haben“, erklärt Prof. Lehmann-Hasemeyer. „Dazu gehören beispielsweise Gründerboom und -krise, Erster Weltkrieg, Inflation von 1923, Weltwirtschaftskrise mit Bankenkrise, Zweiter Weltkrieg und die Währungsreform von 1948.“
In einer ersten Veröffentlichung untersuchen die Forschenden das Sparverhalten von 2.500 Sparer:innen der Oberamtssparkasse Ludwigsburg in Württemberg für den Zeitraum 1852 bis 1910. Auf den ersten Blick scheint die Analyse wenig Überraschendes zu offenbaren. Insgesamt verhielten sich die Sparer:innen wie erwartet: Ein Rückgang der Realzinsen führte auch zu einem Rückgang der jährlichen Sparquoten.
Wohlhabende Sparer:innen legen mehr zurück …
„Dieser erste Eindruck ist jedoch trügerisch“, so Prof. Lehmann-Hasemeyer. Bei näherer Betrachtung zeigten die verschiedenen Gruppen ein unterschiedliches Verhalten. Die Sparer:innen stützten sich dabei in erster Linie auf die Erfahrung der letzten Zeit. Damals waren die Durchschnittseinkommen niedriger und das soziale Sicherheitsnetz viel durchlässiger als heute.
Wohlhabende Menschen der Oberschicht reagierten auf einen Anstieg der Inflationsrate und damit auf sinkende Realzinsen mit einer Erhöhung ihrer Rücklagen. „Dies deutet darauf hin, dass sie ein konkretes Sparziel verfolgten, um sich gegen Lebensrisiken wie Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit abzusichern. Dieses Ziel konnten sie nur durch verstärktes Sparen erreichen“, erklärt Prof. Lehmann-Hasemeyer.
Es könnte jedoch auch eine andere Interpretation geben: „Menschen, die erwarteten, dass die hohen Inflationsraten bald von einem Preisrückgang abgelöst werden, haben möglicherweise nur deshalb mehr zurückgelegt, damit sie in der kommenden Phase mehr konsumieren können.“
… ärmere weniger
Die ärmeren Sparer:innen, insbesondere Frauen als Arbeitnehmerinnen, reagierten hingegen auf höhere Inflationsraten mit niedrigeren Rücklagen. Nach Ansicht der Forschenden ist dieses Verhalten auf ein geringeres Einkommen zurückzuführen, das selbst in guten Zeiten kaum das Existenzminimum überstieg. Prof. Lehmann-Hasemeyer bringt es so auf den Punkt: „Ihnen fehlte vielleicht nicht der Wille zum Sparen, aber die Möglichkeit. Sie lebten von der Hand in den Mund.“
Spar-Verhalten änderte sich mit Einführung des Sozialversicherungssystems
Sparen als Vorsorgemotiv war im Deutschland des 19. Jahrhunderts noch stärker ausgeprägt als in den heutigen hoch entwickelten Industrieländern. Denn in den 1880er Jahren fanden die Forschenden eine auffällige Veränderung: Nahmen die durchschnittlichen Sparquoten in Zeiten hoher Inflation normalerweise ab, kehrte sich jetzt das Sparverhalten um. Von nun an erhöhten alle sozialen Schichten ihre Rücklagen, wenn die Inflationserwartungen stiegen.
Ursache waren steigende Reallöhne und größere soziale Sicherheit durch die Einführung des Bismarck’schen Sozialversicherungssystems in Form von Kranken-, Unfall- sowie Invaliditäts- und Altersversicherung. Sie führten offenbar dazu, dass die Arbeiterklasse auch bei hoher Inflation ihre jährlichen Ersparnisse nicht mehr reduzieren musste.
Quelle: Universität Hohenheim
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