Die globale Nahrungsmittelproduktion erreicht Höchststände, dank intensiver Landwirtschaft und effizienter Lebensmittelindustrie. Doch wie so oft, hat auch dieser Erfolg seine Schattenseiten und gefährdet unser empfindliches Ökosystem.
In ihrem neuen Buch „Eat it“ erforschen die GEO-Journalisten Dirk Steffens und Marlene Göring die globalen Nahrungsverflechtungen, von den Sojafeldern in Brasilien bis zu den Ställen in Brandenburg.
Melanie Goll und Dieter Knaut haben für „TradeTalk – Das Wirtschaftsmagazin“ exklusiv mit Dirk Steffens über Hintergründe und Lösungsansätze gesprochen, wie wir durch kluge Entscheidungen unseren Planeten schützen können.
Was war für Sie und für Frau Göring der Auslöser, das Sachbuch Eat it zu schreiben?
Dirk Steffens: Weil wir ganz dringend das größte Öko-Problem von allen oben auf die Agenda setzen müssen. Und das sind eben nicht SUVs, Urlaubsflüge oder Heizungsanlagen, sondern es ist die Art und Weise, wie wir Menschen Nahrungsmittel herstellen. Nichts hat einen größeren Impact auf das Natursystem. Egal, ob man sich jetzt über den Klimawandel, das Artensterben, die schwindenden Süßwasserreserven oder die durcheinandergeratenen Stoffkreisläufe auf der Erde Gedanken macht – alles ist mit unserem Essen verbunden. Würden wir die Nahrungsmittelproduktion nachhaltig gestalten, wäre das globale Umweltdesaster sofort ein ganzes Stück weniger dramatisch.
Sie haben für Ihr gemeinsames Buch weltweit recherchiert. Was hat Sie am meisten schockiert?
Dirk Steffens: Die industrialisierte Tierhaltung. Ich habe etwa einen Bauernhof der Superlative in Saudi-Arabien besucht: Mitten in der Wüste, in einem Land ohne einen einzigen Fluss und ohne eine einzige Wiese, steht ein Stall mit 50.000 Holsteiner Kühen. 50.000! Die riesigen Futtermengen, die dort benötigt werden, müssen jeden Tag aus einem Dutzend verschiedener Länder aus allen Ecken der Welt herangekarrt werden. Und die Tiere stehen da den ganzen Tag unter einer Kuh-Kühlanlage, weil 50 Grad auf keine Kuhhaut gehen, ohne die Milchleistung zu drücken.
In China entsteht gerade ein Schweinestall, der 26 Stockwerke hoch ist und wo die Tiere weder Tageslicht noch Menschen sehen, alles automatisiert. 1,2 Millionen Schweine pro Jahr ist das Ziel. Das Tierfutter für solche Giga-Factorys stammt von Äckern, auf denen deshalb kein Essen für Menschen wächst und die Mitschuld daran sind, dass wir jedes Jahr Millionen Hektar fruchtbaren Boden verlieren. Auf der Erde wird die Erde knapp, weil wir es offenbar mit der Industrialisierung der Landwirtschaft übertrieben haben.
Sind aus Ihrer Sicht Nahrungsmittel das größte Umweltproblem unserer Zeit?
Dirk Steffens: O ja. Vor einiger Zeit geisterte ja schon die Horrormeldung herum, die Erde könne, weil die Böden ausgelaugt sind und erodieren, nur noch 60 Ernten tragen und dann sei Schluss. Puh! Ganz so fürchterlich wird es meiner Einschätzung nach zwar nicht kommen, aber die Art und Weise, wie wir die Erde behandeln – und mit Erde meine ich hier den Mutterboden, auf dem alles wächst – ist wirklich besorgniserregend. Wir
zerstören ganz buchstäblich unsere Lebens-Grundlage und verschwenden unsere Zeit mit Streitereien über Windkraftanlagen oder Mehrwertsteuersätze auf Hafermilch. Wir sollten dringend an unserer Prioritätensetzung arbeiten.
Die Weltbevölkerung hat im November 2022 die Marke von acht Milliarden
Menschen überschritten und das Bevölkerungswachstum geht weiter.
Welche Ernährungsstrategien halten Sie für am sinnvollsten?
Dirk Steffens: Der größte und wirksamste Hebel: Weniger Verschwendung. Ungefähr ein Drittel aller Nahrungsmittel landet weltweit im Müll. Würden wir weniger verschwenden, stünden ohne zusätzlichen Anbau sofort und kostenneutral mehr Lebensmittel zur Verfügung. Außerdem ist es nicht sinnvoll, bis zu 80 Prozent der Anbauflächen nur für Tierfutter zu nutzen. Würde man mehr Essen für Menschen anbauen, stiege die Effizienz – also ist ein reduzierter Fleischkonsum wünschenswert. Wobei es ausdrücklich nicht um die unsinnige Frage geht, ob man Vegetarier ist. Das ist nicht
entscheidend, eine Bratwurst oder ein Schnitzel ab und zu, aus vernünftiger Produktion, dagegen ist nur wenig einzuwenden. Aber der absurd hohe Fleischkonsum, dem Länder wie die USA oder Deutschland zur Zeit frönen, ist ganz objektiv ein Problem. Er verursacht bizarr hohe Kosten bei den Umweltfolgeschäden, den Klimaschäden, der Grundwasserreinigung, den Gesundheitskosten und in vielen anderen Bereichen. Allein in Deutschland drücken wir jedes Jahr einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag in den Agrarsektor, der nur einen Bruchteil davon selbst erwirtschaften kann. Fehlsubventionen sind Gift für eine marktwirtschaftlich gesunde und ökologische Nahrungsproduktion.
Ist eine sichere Ernährung der Weltbevölkerung angesichts der weltweiten Krisen überhaupt realistisch?
Dirk Steffens: Ja. Und nein. Das „ja“ ist ein naturwissenschaftliches, also ein faktenbasiertes: Die etwa 5 Milliarden Hektar Agrarflächen auf der Erde reichen rechnerisch aus, um zehn Milliarden Menschen zu ernähren. Kombiniert mit neuen Technologien wie etwa vertical Farming, regenerativer Landwirtschaft, digitaler Präzisionslandwirtschaft und anderen Methoden könnte das auch praktisch ermöglichen, alle Menschen satt zu machen. Auf der anderen Seite steht aber leider der menschliche Wahnsinn, Habgier, Kriege, politische Konflikte und solche Sachen sind nicht berechenbar, das könnte aus dem „ja“ dann ein „nein“ machen.
Europa allein kann’s nicht schaffen?
Dirk Steffens: Die Ukraine als wichtiger Getreidelieferant hat es ja gerade sehr schwer, schon europaweit ist eine Prognose deshalb schwierig. Sicher ist: Deutschland allein kann sich auf gar keinen Fall so versorgen, wie wir aktuell essen. Allein die über 50 Millionen Schweine, die wir hier pro Jahr mästen, um unsere geschätzt sieben Milliarden Bratwürste pro Jahr zu essen: Ohne Futtermittelimporte, etwa Soja aus Brasilien, könnten wir vielleicht nur halb so viele Schweine schlachten, wir haben gar nicht die Flächen für so viel industrialisierte Viehhaltung. Also exportieren wir unseren Flächenbedarf nach Amerika oder Afrika. Die Nahrungsmittelindustrie ist global vernetzt – ganz auf uns allein gestellt, müssten wir den Gürtel wohl sehr viel enger schnallen.
Aber gibt es auch Faktoren, die Sie generell mit Blick auf das Thema
Lebensmittelwertschätzung, optimistisch stimmen?
Dirk Steffens: Natürlich, schließlich ist der Homo sapiens ja wirklich clever. Und wenn es wirklich eng wird, sind wir ja auch durchaus zu drastischen Kurswechseln fähig. Die technologischen Innovationen in der Landwirtschaft, unser täglich wachsendes Wissen um die Funktionsweise von Böden und Natursystemen, die Optimierungsmöglichkeiten bei der Effizienz der Essens-Verwertung und natürlich auch das abnehmende Tempo des Bevölkerungswachstum könnten unterm Strich dazu führen, dass es noch sehr lange Menschen auf der Erde geben wird. Und vielleicht gelingt es uns ja sogar irgendwann, den Hunger auf der Welt zu besiegen.
Möglich wäre das schon heute, aber beim Thema gerechte Verteilung ist unsere Lernkurve bisher zu flach. Und am Ende ist doch eines klar: Bei diesem Thema gibt es zum Optimismus keine vernünftige Alternative.
Infos zur Person:
Dirk Steffens ist einer der bekanntesten und renommiertesten Wissenschaftsjournalisten Deutschlands, spezialisiert auf Umwelt- und Naturthemen. Der Dokumentarfilmer, TV-Moderatorund Buchautor arbeitet seit 2022 für die Film- und Print-Redaktionen von »GEO«. Für seine Arbeit
wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter das Bundesverdienstkreuz, der Heinz Sielmann Ehrenpreis, der Walter-Scheel-Preis, die Goldene Kamera und der Deutsche Fernsehpreis. Die Universität Bayreuth verlieh ihm zudem die Ehrendoktorwürde für Geowissenschaften.
Foto: © Christina Körthe