Gastbeitrag von Moritz Freiherr Knigge
„Corona ist blöd, Moritz!“ Sagte mein Neffe letztlich am Telefon zu mir. „Ich weiss nicht mal wie meine neue Mathelehrerin aussieht!“ Ich würde auch gerne wieder Menschen wie selbstverständlich ins Gesicht gucken statt vor ihre Masken. Aber Corona macht aus allem Selbstverständlichen gerade Unverständliches.
Ewas was wir bisher nur aus Hollywood-Endzeit-Filmen kannten, wurde zur neuen Realität. Trugen früher nur höflichen Menschen aus Asien zum Schutze ihrer Mitmenschen Masken, tragen auch wir heute Masken. Wurde in den vergangenen Jahren von den Anständigen die zunehmende Distanzlosigkeit ihrer Mitmenschen bemängelt, wünschen wir uns ob der gebotenen und verordneten Distanz freiwillige Nähe.
Menschen zulächeln
Selbst denen, die man früher nicht zwingend umarmen wollte, möchte man um den Hals fallen. Die ganze Welt umarmen, Menschen zulächeln, mit dem Mund und nicht nur mit den Augen. Sich nicht nur zunicken sondern überschwänglich begrüßen, nicht Slalomlaufen auf den Bürgersteigen aus Angst vor Ansteckung mit einem unbekannten Feind, sondern Hand in Hand mit einem gemeinsamen Freund.
So richtig kräftig die Hand des Geschäftspartners schütteln, der Freundin lauthals ins Gesicht lachen, dem besten Freund krachend auf die Schulter die klopfen und nicht hinter jeder Whatts-App-Anfrage nach einem Treffen ergänzen müssen: in gebührendem Abstand natürlich.
Doch nicht nur die Sehnsucht nach Nähe nimmt von Tag zu Tag zu. Zum Abstand auch. Weil die ein wenig Abstand gut vertragen könnten, die jetzt Home und Office teilen. Wie sagte schon der Philosoph Alain so schön: Der unhöflichste Ort der Welt ist die Ehe. Weil Distanz verliert, wer sich zu sehr auf die Pelle rückt. Und die Nähe verliert, wer sich nicht mehr auf die Pelle rücken darf, höre ich die Alleinstehenden rufen und stimme in ihren Chor ein. Anstand auf Abstand ist eine echte Prüfung für uns alle.
Gute Entfernung zueinander
Weil der gute Umgang mit Menschen ein gutes Nähe-Distanz-Verhältnis braucht, damit wir uns gewertschätzt fühlen. Eine gute Entfernung zueinander herausfinden, freiwillig, nicht gegen unseren Willen. Wer Abstand halten muss, der merkt erst wie unendlich weit der eine Meter und die 50 Centimeter sind, die man uns gegenseitig abverlangt. Wie unendlich weit die Weite ist, die zwischen uns liegt und unser Miteinander beschwert.
Wie sehne ich in diesen Tagen das Unbeschwerte herbei. Ich freue mich so sehr auf die Zeit, wenn wir diese Entfernung wieder selbst bestimmen. So frei und klug wie es die Stachelschweine in der wunderbaren Parabel von Arthur Schopenhauer tun:
„Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich an einem kalten Wintertage recht nah zusammen, um sich durch die gegenseitige Wärme vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln, welche sie dann wieder von einander entfernte. Wann nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammenbrachte, wiederholte sich jenes zweite Übel, so daß sie zwischen beiden Leiden hin und her geworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung voneinander herausgefun den hatten, in der sie es am besten aushalten konnten. Die mittlere Entfernung, die sie endlich herausfinden, und bei welcher ein Beisammensein bestehen kann, ist die Höflichkeit und feine Sitte.“
Wir sind noch nicht soweit. Aber wir werden wieder beisammen sein. Mit großer Freude statt großem Abstand. Ganz bestimmt.
Fotos: © Moritz Freiherr Knigge und pixabay