Sie kommen abends nach Hause und vor Ihrem Hauseingang steht ein Lastwagen mit zig Paletten Frischmilch. Ihr Eisschrank – Teil des just installierten „SmartHome“ – hat bei der Bestellung von Milch qua Ausschreibung im Internet zwar gute Rabatte herausgeholt, sich aber eben um ein paar tausend Liter verhoben – müssen Sie abnehmen?

Heinrich Lohse lässt grüßen

Keine moderne Fortschreibung von Loriots „Pappa Ante Portas“, sondern ein reales Szenario. Der letzte Deutsche Juristentag in Essen 2016 diskutierte, ob unser BGB für zivilrechtliche Verträge mit digitalen Inhalten überhaupt noch taugt. Wir Deutschen sagen ja – da geht noch was. Die Europäische Kommission sagt nein, ein neuer unionsweiter Vertragstypus mit maßgeschneiderten Regeln muss her. Besonders komplex wird es, wenn Cloud Rechenzentren involviert sind, denn Cloud-basierte Systeme verhalten sich deterministisch, d. h. interne und externe Faktoren bestimmen die Auswahl des nächsten Ausführungsschrittes ohne humane Kontrollierbarkeit. Künstliche Intelligenz statt natürliche Dummheit eben.

Technisch ist bekanntlich vieles möglich, betriebswirtschaftlich eine feine Sache, aber wer haftet wofür, vor allem, wenn gleich mehrere Subjekte an einem Prozess beteiligt sind und die Cloud mal in diesem, mal in jenem Land „liegt“? Wie der tödliche Unfall des Tesla-Beifahrers mit Autopilot-Funktion im Juni 2016 gezeigt hat, kann das Vertrauen auf die Steuerung „irgendwo im Netz“ Leib und Leben kosten. Geradezu ein Kavaliersdelikt, das nur uns „crazy Germans“ in Wallung bringt, ist dagegen das Speichern und Weiterleiten von persönlichen Daten, wie den Beginn und das Ende der Tagesarbeitszeit eines menschlichen Mitarbeiters durch den Kollegen Roboter. Dieser mag kognitiv intelligent sein, aber emotional und sozial alles andere als ein verständiger Kumpel, wenn man mal 5 Minuten zu spät kommt.

Einer muss den Kopf hinhalten

Alles läuft meines Erachtens in Richtung Gefährdungshaftung – Kausalität und persönliche Schuld waren gestern. Was heißt das für uns als innovationsfreudige Unternehmer? Die Verträge mit IT-Dienstleistern und Werkunternehmern der Digitalisierung müssen für den Besteller gut sein, klar regeln, wer wofür (verschuldensunabhängig) haftet – von „wasserdicht“ kann angesichts des Speeds der Marktentwicklung und spärlicher Rechtsprechung nicht die Rede sein. Umgeben Sie sich mit Leuten, die etwas davon verstehen und Vorsicht bei AGB!

Cybercrime – wenn es einen erwischt

Wer Opfer einer Cyberattacke wird – spektakuläre Fälle wie das Hacking des Neusser Lukas-Krankenhauses durch Erpresser 2016 zeigen dies – trifft zwar auf weitgehend modernes materielles Recht, bekommt auch Hilfe durch das von Arne Schönbohm bestens geleitete Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das gerade zu einer schlagkräftigen Truppe ausgebaut wird. Aber die Rechtsverfolgung verlangt tiefe Taschen für Dokumentation, Recherchen mit spezialisierten Detekteien, die meist ins Ausland führen und teuren Zugang zum dortigen Rechtssystem erfordern.

Deutsche Staatsanwaltschaften – in jedem Bundesland gibt es eine mit Sonderzuständigkeit, in NRW ist das Köln – warten nicht gerade beschäftigungslos auf Ihren Fall. Darum gilt bei der Cybersecurity in besonderem Maße die zahnärztliche Binsenweisheit „Vorbeugen ist besser und billiger als Heilen“.

Das Rechtssystem hinkt hinterher

Das Recht läuft technischen, sozialen und ökonomischen Entwicklungen zwangsläufig, ja genuin hinterher. Das ist nicht einmal etwas Schlechtes, denn fürsorglicher Übereifer ist oft gefährlicher als spätere, aber durchdachte Reaktion. Die deutsche Justiz möge indessen von niemandem überschätzt werden und sollte nicht über Gebühr gestört werden – sie ist gerade damit beschäftigt, die Fristwahrung von Schriftsätzen, die bisher per Telefax kommen mussten, auch auf dieses neuartige Zeugs zu erstrecken, wie heißt das nochmal? Ach ja, E-Mails! Da wünschen wir doch guten Netz­empfang!

Gastbeitrag von Michael Schmittmann

Info:

Nach dem Studium in Köln und Genf, Referendariat in Konstanz und Brüssel, Studienaufenthalten und Praktika in London, Paris und Washington DC startete Michael Schmittmann als Vertragsjurist in der Europäischen Kommission in Brüssel in sein Berufsleben. Seit 2004 ist er Partner bei Heuking Kühn Luer Wojtek und leitet vom Düsseldorfer Standort der Kanzlei aus die Praxisgruppe IP, Media & Technology an sieben Standorten bundesweit. Im Bereich IT-Recht befassen er und sein Team sich mit Themen wie beispielsweise IT Procurement, Outsourcing, IT Compliance sowie branchenspezifischen M&A-Transaktionen. . Michael Schmittmann ist Aufsichtsrat der Airweb AG und Lehrbeauftragter an der Leibnitz Universität Hannover.

www.heuking.de