Als wäre es gestern gewesen erinnern wir uns noch alle an die Finanzkrise 2008, die wie ein Erdbeben den internationalen Finanzmarkt erschüttert hat. Eine Krise, die in diesem Ausmaß zuletzt 1929 zu verzeichnen war, und zahlreiche Banken und andere Finanzunternehmen aufgerüttelt hat. Lehmann Brothers und Bear Stearns wurden insolvent, und Banken wie die Royal Bank of Scotland, Merrill Lynch und viele mehr benötigten finanzielle Hilfe. Danach war die Finanzwelt nicht mehr die, die sie einmal war. Was hat sich seitdem verändert und wie ist die Stimmung in der Finanzmetropole London?
Es geht um Ehrlichkeit, Transparenz und Vertrauen
Die Finanzkrise hat im Finanzzentrum Großbritanniens sehr viel verändert. Es wurde mit Hochdruck an neuen Regeln gearbeitet. Nationale und internationale neue Rahmenbedingungen mussten her, die die Rechte der Anleger schützen und eine sichere Stabilität im Finanzmarkt gewährleisten. Eine Konsequenz war, dass eine neue Verordnung für den Britischen Finanzmarkt erlassen wurde, die am 1. April 2013 in Kraft trat und der Bank of England die Verantwortung für
finanzielle Stabilität und die Erstellung von Makro- und Mikro- Regularien übertrug. Es handelt sich um eine neue Struktur, bestehend aus dem Bank of England Financial Police Committees (FPC), der Prudential Regulation Authority und der Financial Conduct Authority (FCA). Diese formulieren seitdem neue Regeln mit dem Ziel, mehr Transparenz, Effizienz und Investitionssicherheit im Finanzmarkt London zu sichern. Für die Firmen ist das eine große Herausforderung, denn sie müssen innerhalb kurzer Zeit die sehr komplexen Veränderungen implementieren. In der Britischen Finanzterminologie wird es „Compliances“ genannt und es ist für die Firmen keine Option, sondern ein strenges Muss sich daran zu halten. Hier geht es um Ehrlichkeit, Integrität, Respekt, Vertrauen und Reputation. Unternehmensführungen und Risikomanagement sind dementsprechend dabei, die Software anzupassen oder umzustellen und Investitions- und Marketing-Strategien zu überdenken. Mitarbeiter werden geschult, die Organisationsstrukturen überprüft und grundsätzlich die Unternehmenskulturen verbessert. Mitarbeiter werden gar dazu ermutigt, Bedenken und Schwierigkeiten aus dem operativen Geschäft zu melden – auch unter dem Begriff „whistleblowing“ bekannt. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf den Insider-Handel gegeben, um interne Absprachen und Manipulationen zu vermeiden. Als Konsequenz werden die Kommunikationsaktivitäten der Mitarbeiter zum Teil kontrolliert und auch die Handynutzung unterliegt immer strengeren Restriktionen. Manager sind zunehmend damit beschäftigt, Reports zu schreiben und an die entsprechenden Stellen weiterzuleiten. All diese Veränderungen sind mit erheblichen Kosten verbunden, die starken Einfluss auf die Bilanzen der Unternehmen haben.
Diese müssen, so Unternehmensberatung Deloitte, zunächst einmal repariert und an Reputationen gearbeitet werden. Dementsprechend bezeichnet die Consulting-Firma das Jahr 2015 als einen Wendepunkt für den Britischen Finanzmarkt, wo der Großteil der Europäischen Aktivitäten stattfindet.
Konsolidierungen sind noch nicht abgeschlossen
Beispiele für die Konsequenzen der Unternehmensveränderungen im kleinsten Distrikt Londons gibt es unzählige. Es reicht von Mitarbeiterentlassungen, über die Schließung ganzer Abteilungen bis hin zur Schließung von Unternehmen. Ein Beispiel dafür war der Anfang des Jahres 2015 vollzogene Kauf der Brokerfirma GFI durch den Wettbewerber BGC Partners. Ein weiterer Fall, der für die Londoner Finanzwelt eine schockierende Nachricht in der Britischen Presse im November 2015 darstellte, waren Gerüchte von Verhandlungsgesprächen des Finanzmaklers Tullett Prebon mit dem größeren Wettbewerber icap über die Übernahme eines Geschäftsbereiches. Die kompetitiven Makler, die Anleihen und Derivate für große Investmentbanken kaufen und verkaufen, mussten über einen längeren Zeitraum ein geringes Handelsvolumen verzeichnen. Daraus resultierend werden parallel laufende Abteilungen miteinander verglichen, mit der vermutlichen Folge von personellen und strategischen Veränderungen.
Unternehmen achten auf eine gute Work- Life- Balance
Ein positiv zu verzeichnender Effekt ist, dass Arbeitgeber nun auch über das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter nachdenken. Früher wäre es beispielsweise undenkbar gewesen, dass Arbeitnehmer in der Mittagspause für eine Stunde im Fitnessstudio verschwinden oder gar eine Meditationsstunde einfügen. Kursangebote, die ein bisschen mehr Menschlichkeit in die rastlose und gehetzte Stadt bringen, nennen sich „Self Esteem“, „Positive Thinking“, „Time Management“ oder „People Skills“. Aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen und zunehmender Todesfälle bei Finanzmarktmitarbeitern wurde und wird darüber diskutiert wieviel Stress die Mitarbeiter verkraften können und wie Mitarbeiter behandelt werden. Unternehmen in der hektischen Finanzstadt denken durchaus über die Work-Life-Balance nach und bieten Mindfulness-Seminare oder Yoga-Stunden an. Neurowissenschaftler und Business Coaches sagen gar weitere überraschende Entwicklungen wie Meditations- und Entspannungszonen voraus, da es Menschen immer bewusster wird wie wichtig Schlaf, Bewegung und gesunde Ernährung ist. Alles wichtige Voraussetzungen für geistige und körperliche Fitness, die bei der Konzentration helfen. Schließlich sind Alarmzeichen wie beispielsweise Herzinfarkt und Depression bei gestressten Mitarbeitern keine Seltenheiten, die letztlich zum Umdenken veranlassen. Zahlreiche ehemalige Broker oder Händler vollzogen unter anderem aus diesem Aspekt einen radikalen Karrierewechsel und suchten ihre Erfüllung in einer komplett anderen Aufgabe.
In der Krise steckt die Chance
Die Unternehmensberatung Price Waterhouse Coopers ist der Meinung, dass all diese Veränderungen nicht grundsätzlich negativ sind und dass sich, wie bei jeder Veränderung, wieder neue Chancen ergeben. Der Markt muss sich an neue Spielregeln gewöhnen und das ist essentiell. Schließlich haben alle diese Unternehmen zum Ziel, profitabel zu arbeiten und dazu gehört eben auch, sich von veralteten Geschäftsmodellen zu verabschieden und gegebenenfalls neue Geschäftsfelder zu begehen oder zu entwickeln. Oder wie sagte es einst unser ehemaliger Bundespräsident Richard von Weizsäcker: „Von den Chinesen können wir einiges lernen. Man hat mir gesagt, sie hätten ein und dasselbe Schriftzeichen für Chance und Krise“.
von Nadja Thom
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