Soziale Netzwerke sind aus dem Alltag kaum wegzudenken. Grund genug, Facebook und Co. in den Mittelpunkt der Veranstaltung „Düsseldorf Digital“ zu stellen. Bei der zweiten Auflage der Reihe, die der Wirtschaftsclub Düsseldorf gemeinsam mit der Rheinischen Post regelmäßig initiiert, um etablierte Unternehmer, Start-ups und Vertreter der digitalen Industrie zusammenzubringen, diskutierten Anfang November Blogger Sascha Lobo und die deutsche Facebook-Sprecherin Tina Kulow zum Thema „Die wirklichen Meinungsmacher: Welchen Einfluss haben Social Media auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft?“.

„Thanks to new netneutrality rules all internet traffic will be treated equally.” Als Moderator Daniel Fiene diesen Tweet von Günther Oettinger zitierte, hatte er direkt die Lacher des Publikums auf seiner Seite. Dabei bezog sich der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft mit dieser Message auf die Beschlüsse des Europäischen Parlaments zur Netzneutralität, die in den vergangenen Wochen für Diskussionsstoff sorgten und nicht überall auf Begeisterung stießen. Der Tweet bildete somit aber den passenden Auftakt zur zweiten Auflage der Veranstaltungsreihe „Düsseldorf Digital“, bei der die beiden Gäste, Blogger Sascha Lobo und Facebook-Sprecherin Tina Kulow, zum Thema „Die wirklichen Meinungsmacher: Welchen Einfluss haben Social Media auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft?“ angeregt diskutierten.

Verbogener Diskurs
„Das Problem im deutschsprachigen Raum und Europa insgesamt ist, dass der digitale Diskurs komplett verbogen ist“, stieg Sascha Lobo direkt in das Thema ein. „In der Art, wie man über die digitale Gesellschaft spricht, ist ein großer Wurm drin.“ Da sei es nicht verwunderlich, dass „hinten nichts mehr rauskommt, was wirklich von entscheidender Bedeutung ist.“ Im zu Beginn genannten Tweet sieht er eine neue Definition von Netzneutralität, die mit der klassischen Betrachtung nichts mehr zu tun hat. „Und das ist typisch für die Art und Weise wie man in Deutschland mit der digitalen Welt umgeht: Man versucht, sich die Welt definitorisch untertan zu machen an-statt an der digitalen Realität entlang zu operieren.

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“Das Szenario, dass die großen Verursacher von Traffic zur Kasse gebeten werden sollen, hält Lobo für unverschämt. „Diese Verursacher sind doch nur deshalb so groß, weil die Menschen ihre Inhalte haben wollen – und die bezahlen bereits dafür.“ Welche Auswirkungen das EU-Gesetz zur Netzneutralität für Internetnutzer haben werde, vermochte Tina Kulow nicht zu prognostizieren, für Facebook sei Netzneutralität aber sehr wichtig.

Branchen umgekrempelt
Nach Ansicht von Sascha Lobo werden Plattformen wie Facebook einzelne Wirtschaftsbereiche „wie ein Tsunami“ umkrempeln und das komplette Kundenverhalten ändern. Dabei habe man es mit einer neuen Art von Unternehmenstyp zu tun: „Das klassische Unternehmen will das beste in seiner Branche werden, das Plattform-
Unternehmen will das einzige sein.“ Die deutsche Wirtschaft habe diese Entwicklung jedoch noch nicht erkannt: „Was deutschen Firmen bei der digitalen Transformation im Weg steht, ist der eigene Erfolg. Deutschland ist so wahnsinnig erfolgreich, dass niemand auch nur ansatzweise darüber nachdenkt, was eigentlich im nächsten Entwicklungsschritt passiert.“
Die Unternehmen würden hierzulande nicht sehen, dass ihre eigene Branche in die Abhängigkeit kippen kann, und zwar zu Regeln, von denen sie nicht realisieren, dass sie existent sind. „Wenn sie es im zweiten Schritt realisiert haben, werden sie es drei Jahre lang nicht verstehen. In den nächsten zehn Jahren versuchen sie dann mit Unternehmensberatern zu verstehen, was sie hätten vor fünf Jahren begreifen müssen und dann ist es auch schon zu spät.“ Wichtig sei es, dass Unternehmen in die digitale Zukunft investieren, Projekte starten und neue Ideen ausprobieren. Hier stimmt ihm Tina Kulow zu, merkt aber an: „Dazu müssen wir in Deutschland auch eine Fehlerkultur lernen.“

Lösungen gegen Hetz-Kommentare
Als Fiene das Gespräch auf das Thema Hetz-Kommentare in sozialen Netzwerken lenkte, wurde die Diskussion ein wenig hitziger. Die Facebook-Sprecherin wies darauf hin, dass Facebook gerade sehr genau hinschaut, was bei den Prozessen besser gemacht werden könne und stellte eine Lösung binnen weniger Wochen in Aussicht. Das Thema werde nicht auf die leichte Schulter genommen, dennoch sei es eine sehr schwere Aufgabe, abzuwägen, welche Posts gegen Standards verstoßen. Sascha Lobo geht das aber noch nicht weit genug; er fordert eine konkrete Strategie: „Ich erwarte von einem Unternehmen, das Milliardenbeträge umsetzt, dass es eine Lösung findet.“ Das Problem sei nicht wirklich neu, dennoch reagiere man erst dann, wenn der öffentliche Druck zu groß werde. So habe Facebook in den USA nachweislich erst etwas unternommen als User angefangen haben, mit den Werbekunden zu kommunizieren.
Kommunikation, die aufstachelt
Eine Problemlösung sei vor allem deshalb wichtig, da „wir an der Grenze dazu sind, dass Menschen durch Facebook-Postings Flüchtlingsheime anzünden.“ Er verwies auf eine Studie, die zeige, wie aus Gerüchten Stimmungen erzeugt werden, die dazu führen, „dass einzelne Leute losgehen und andere umbringen oder es zumindest versuchen.“ Wenn Menschen durch eine Form der Kommunikation, die aufstachelt, zu Schaden kommen, sei ein Punkt erreicht, an dem reagiert werden müsse.

Vorwürfe, dass Facebook beim Entfernen von Nacktbildern schneller reagiert als bei rassistischen Kommentaren, wies Tina Kulow zurück. Jede Meldung würde von den Facebook-Mitarbeitern mit gleicher Priorität bearbeitet. Wie viele Mitarbeiter sich um diese Aufgabe kümmern, wollte sie nicht verraten. Sie erklärte aber, dass es mehrere Hundert seien, zu denen auch Muttersprachler zählen.

Meinungsmacher oder Netzwerker?
Später beschäftigten sich die Protagonisten auf dem Podium konkret mit dem Begriff des Meinungsmachers. „Meinungsmache ist eher ein Ding des 20. Jahrhunderts. Netzwerkphänomene sind viel relevanter und zwar aus einem Grund: Netzwerker sind viele, Meinungsmacher ist nur einer“, sagt Sascha Lobo. Eine Rolle spiele der Wunsch, unter Kontrolle zu haben, was passiert. „Tatsächlich ist das chaotische System Kommunikation im 21. Jahrhundert eines, mit dem man ein bisschen rumtricksen kann.“ Der Begriff Meinungsmacher gehe an der Wahrheit vorbei. Man habe sich angewöhnt, dass es für bestimmte Dinge Verantwortliche gibt. „Ich glaube aber, dass die Gesellschaft so komplex ist, dass bestimmte Prozesse nicht mehr nur einen Verantwortlichen haben.“ Meinung werde nicht von einer Person gemacht, bestimmte Meinungen würden sich einfach schneller verbreiten als andere.

Zukünftige Entwicklungen
Zum Schluss standen noch Prognosen über die technische Entwicklung in den nächsten fünf Jahren auf dem Programm. Tina Kulow ist der Meinung, dass unter anderem Virtual Reality eine große Rolle spielen werde. Lobo sieht Potenzial in digital vernetzten Plattformkonzepten. Einig sind sich beide aber darüber, dass die digitale Entwicklung noch längst nicht am Ende angekommen ist.

von Jessica Hellmann

Fotos: © Andreas Endermann
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