„Deutschland braucht mehr Selbstständigkeit“, ist sich Gerd Pieper sicher. Der Inhaber der Parfümerie Pieper, der auch Aufsichtsratsvorsitzender des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund ist, sprach im März beim Unternehmerfrühstück im Wirtschaftsclub Düsseldorf über seinen eigenen Weg in die Selbstständigkeit und kritisierte die Politikverdrossenheit zahlreicher Unternehmer. Er forderte, dass Firmenchefs auch jenseits vom eigenen Betrieb Verantwortungsgefühl beweisen und sich politisch engagieren.
„Junge, bleib ein Jahr bei mir in der Firma und du wirst sehen, dass Selbstständigkeit das Schönste im Leben ist“, sagte Gerhard Pieper Ende der 1960er Jahre zu seinem Sohn Gerd, der gerade sein BWL-Studium in Köln beendet hatte. Erstens könne man nicht gefeuert werden und zweitens habe man die Möglichkeit, über sein eigenes Tun selbst zu entscheiden. „Mein Vater, der zwei kleine Seifengeschäfte führte, hat mich überzeugt: Ich wusste nach drei Monaten, dass ich der Selbstständigkeit verfallen bin“, erinnert sich der heutige Geschäftsführer der Parfümerie Pieper. Schon nach einem halben Jahr bekam er die Chance, eine eigene Filiale zu gründen und begleitete jeden Schritt von der Planung bis zur Eröffnung. „Ich fand es toll, etwas zu gestalten und war so begeistert, dass ich dann in den Job eingestiegen bin.“ Nach dem frühen Tod des Vaters, führte der Diplom-Kaufmann die Firma mit seiner Mutter Maria Pieper weiter. Angefangen hat das Familienunternehmen mit fünf Mitarbeitern und zwei kleinen Geschäften; heute sind es 130 Filialen und 1.200 Beschäftigte.
Ein bestimmtes Ziel habe er sich nie gesetzt; schließlich sei es wichtig, nicht an Zielen festzuhalten, die man niemals erreichen kann. Stattdessen richtete er den Blick nach vorne und expandierte, wenn sich die Gelegenheit ergab. „Heute sind wir stolz, mit Abstand die größte private Parfümerie in Deutschland zu sein“, so Pieper weiter. Dass diese ihren Sitz ausgerechnet in Wanne-Eickel hat, sei schon ein bisschen seltsam. „Der Duft der Welt kommt mitten aus dem Ruhrgebiet – aber warum auch nicht?“ Wenn sich geschäftlicher Besuch aus den Metropolen der Welt ankündigte, legte er großen Wert darauf, dass die Treffen in seinem Büro in Herne stattfanden. Selbstständigkeit bedeute nämlich auch, sich mit der Region und dem Umfeld, in dem man tätig ist, zu identifizieren.
Niedrige Selbstständigenquote
Mit diesem Einblick in die Pieper-Unternehmensgeschichte eröffnete der 71-jährige Vater zweier Söhne im März seinen Vortrag im Wirtschaftsclub. Der passionierte Unternehmer wählte ein Thema, das sein eigenes Leben stets bestimmt hat: Die Selbstständigkeit. Dabei stellte er drei Thesen dar. „Erstens gibt es zu wenig selbstständige Unternehmer“, ist sich Pieper sicher und belegte diese Aussage mit einigen Zahlen: „Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2012 sind elf Prozent von allen Erwerbstätigen in Deutschland selbstständig.“ Damit stehe man in Europa an 19. Stelle. In NRW beträgt die Selbstständigenquote sogar nur rund neun Prozent. Zum Vergleich: In Berlin sind es 17,3 Prozent. „Es gibt also noch viel zu tun.“ Besonders überrascht war Pieper über eine Umfrage von Ernst & Young aus dem Jahr 2014, die zeigte, dass 32 Prozent aller Studenten nach dem Studium einen Job im öffentlichen Dienst antreten wollen, anstatt sich in der freien Wirtschaft durchzusetzen. Als Gründe werden die Angst vor dem Scheitern, das finanzielle Risiko und die Schwierigkeit, das Verhältnis zwischen Familie und Beruf zu regeln, genannt. Auch die Sicherheit des Arbeitsplatzes spielt eine Rolle. „Das heißt: Bevor ich anfange zu arbeiten, möchte ich schon wissen, welche Rente ich bekommen. Das ist eine Entwicklung, die einem nicht gefallen kann“, meint Pieper. „Auch die Unternehmerfreundlichkeit ist in Deutschland nicht berauschend: Nur 25 Prozent der Bevölkerung könnten sich vorstellen, jemals selbstständig zu sein.“ Piepers Fazit lautet deshalb: „Wir haben ein schlechtes Image als Unternehmer und wir brauchen dringend mehr Gründergeist in Nordrhein-Westfalen.“ Dafür müsse beispielsweise in der Schule und im Studium mehr auf das Thema Selbstständigkeit eingegangen werden. Es müsse eine Kultur entwickelt werden, in der Unternehmertum wieder geschätzt wird. Das könne nur durch Unternehmer selbst passieren. Diese müssen Vorbild sein und die Politik überzeugen können. „Es gibt eine Menge zu tun – jeder Einzelne von uns ist gefordert.“
Politikverdrossenheit im Mittelstand
Im Anschluss stellte er seine zweite These vor: „Es gibt da etwas, was mich bedrückt, etwas was dem Mittelstand vorzuwerfen ist. Man nennt es Politikverdrossenheit.“ Das sei nicht nur ein Begriff, sondern auch eine innere Haltung, die sich zunehmend gegen viele Institutionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft richte. „Man ist heute gegen alles, kaum noch für etwas; offensichtlich entwickeln sich Individualismus und Gemeinschaftssinn in unserer Zeit mehr und mehr zu Gegensätzen. Ich kann und will mich nicht dazu äußern, was andere in dieser Situation tun; ich möchte nur Sie als Unternehmer aufrufen, in unseren Unternehmen etwas dagegen zu tun, denn unser Staat braucht in allen Bereichen gute Vorbilder.“ Pieper selbst ließ sich in seinem Leben von John F. Kennedys Satz „Frage nicht was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst“ beeinflussen. Direkt nach dem Studium wurde er Mitglied der CDU und war 20 Jahre lang Stadtverordneter in Herne – davon 13 Jahre ehrenamtlicher Bürgermeister der Stadt. Darüber hinaus war er Präsident der IHK im Mittleren Ruhrgebiet zu Bochum, Präsident der Vereinigung der Industrie- und Handelskammern in NRW und Mitglied des Vorstands des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). „Jenseits vom eigenen Betrieb muss ein Unternehmer Verantwortungsgefühl beweisen und nötigenfalls etwas mehr tun.“
Steuerpolitische Belastung
Auf der anderen Seite müsse man sich die Frage stellen: Was tut die Politik wirklich für mittelständische Unternehmer und Selbstständige? Und was tun wir dafür, damit Selbstständige angemessen repräsentiert sind? „Der Mittelstand wird leider im Gegensatz zu seiner Bedeutung steuerpolitisch zu stark belastet, obwohl er das Rückgrat der Wirtschaft ist.“ Als Beispiele nannte er die Gewerbe- und die Erbschaftssteuer. „In 100 Jahren Firmengeschichte zahlen mittelständische Unternehmen in der Regel drei Mal Erbschaftssteuer. Große, börsennotierte Unternehmen, zahlen in dieser Zeit kein einziges Mal Erbschaftssteuer.“ Das sei nicht gerecht und das müsse man auch sagen – insbesondere den Politikern. „Es zeigt, wie wichtig es ist, dass mittelständische Familienunternehmer ihre Stimme erheben und sich auch politisch engagieren. Wenn Sie sich kraft Ihrer Potenz als Unternehmer oder als leitender Mitarbeiter an Politiker wenden, hört man Ihnen zu – da braucht man keine Angst zu haben“, motivierte Gerd Pieper seine Zuhörer. „Gelingt es uns, den einen oder anderen zur Selbstständigkeit oder zu mehr Engagement aufzurufen und vor allem zu überzeugen, dann ist für mich heute ein guter Tag.“Nach seiner Rede folgte eine spannende Diskussionsrunde, bei der die Zuhörer weitere Fragen stellen konnten. Dabei kam unter anderem auch das Thema Online-Handel zur Sprache. Diesbezüglich sieht Gerd Pieper sein Unternehmen gut aufgestellt. Der stationäre Handel wird seiner Einschätzung nach seine Daseinsberechtigung nicht verlieren: „Riechen durch online geht nicht“, sagte er abschließend mit einem Lächeln.
von Jessica Hellmann
Fotos: © Oleksandr Voskresensky