Er ist ein Mann, der auch unbequeme Wahrheiten ausspricht. Bereits vor 20 Jahren warnte
Edgar K. Geffroy Unternehmer davor, dass sie ihre Kunden aus dem Blick verlieren. Sein Buch „Das Einzige, was stört, ist der Kunde“ wurde ein Riesenerfolg. Jetzt wagt er mit seiner neuen Publikation „Herzenssache Kunde“ den nächsten Schritt. TradeTalk hat mit dem erfolgreichen Unternehmensberater gesprochen.
Herr Geffroy, vor 20 Jahren stand das Thema „Kundenorientierung“ schon mal im Fokus. Was ist passiert?
Das war eine sehr spannende Zeit. Den Unternehmern wurde bewusst, dass die Zufriedenheit der Kunden mehr zählt als der Profit. Das war eine Hochära der Kundenorientierung. Doch danach haben die Controller übernommen und die Unternehmen ausschließlich unter Profitgesichtspunkten betrachtet. Damit schlug das Pendel wieder zurück. Eine Rückbewegung, so wie wir sie heute beobachten, ist feststellbar. Eine gefährliche Entwicklung, denn der Kunde heute hat viel mehr Macht als noch vor 20 Jahren.
Sie haben den Begriff Clienting geprägt. Was verbirgt sich dahinter?
Nicht der Markt steht an erster Stelle, sondern der Kunde. Das Individuum steht im Mittelpunkt. Darum baue ich alles andere auf. Dabei muss jedoch das ganze Unternehmen mitziehen – von der Führungsetage bis zu jedem einzelnen Mitarbeiter, damit das funktioniert. Der Kunde will ein Unikat haben, eine einzigartige Leistung und so möchte er auch behandelt werden. Heute wird beispielsweise kein Auto so gebaut wie das andere. Die Hersteller berücksichtigen die individuellen Kundenwünsche. Es geht darum, diese Kundenbeziehung aufzubauen und vor allem auch zu halten und zu intensivieren. Das ist eine Herausforderung für die Unternehmen.
Kundenbindung und Kundenfindung im digitalen Zeitalter. Wie funktioniert das?
Die Spielregeln zukünftiger Geschäftserfolge haben sich dramatisch gewandelt und man kann von einem „Kopfstand der Marktgesetze“ ausgehen. Wer seine eigene Konjunktur machen will, muss die Grundfeste bisheriger unumstößlicher Vorgehensweisen infrage stellen. Bewährtes bricht immer mehr weg. Neues entsteht. Vor uns liegt der größte Paradigmenwechsel der Wirtschaftsgeschichte. Die digitale Welt verändert unsere Geschäftsmodelle und ein neues Kundenzeitalter bricht an. Der Kunde heute ist nicht ausschließlich im Internet unterwegs – er ist sowohl als auch. Darauf müssen Unternehmen reagieren.
Häufig heißt es, das persönliche Gespräch sei durch nichts zu ersetzen. Wie sollte die Ansprache an potenzielle Kunden sein?
Wir wissen, dass heute zunehmend mobil gegoogelt wird. Wer keine mobile Seite hat, hat schlechte Karten. Dabei müssen die Ansprache und die Betreuung im Netz genauso persönlich und individuell sein wie bei einem Vier-Augen-Gespräch. Meine These ist, dass je natürlicher die Kommunikation im Internet funktioniert, desto erfolgreicher ist sie. Spracherkennung ist dabei ein sehr spannendes Tool. Dem Unternehmer sollte es gelingen, auf den verschiedensten Kanälen präsent zu sein. Spielte man vorher auf der Flöte, so braucht man heute das gesamte Klavier. Dabei ist die Überlegung anzustellen, welche Kunden man überhaupt erreichen möchte, denn die Kundenelite gewinnt man nicht auf Facebook. Man muss hier auch für die Unternehmen individuelle Lösungen finden.
Inwiefern „tickt“ der digitale Kunde anders?
Das Internet mit seinen Möglichkeiten ist in der Normalität angekommen, trotzdem gibt es den Kunden, der ausschließlich digital unterwegs ist nicht – oder nur zu einem verschwindend geringen Prozentsatz. Die
digitale Welt stellt dieselben Anforderungen, als würde ein Kunde im Geschäft einkaufen. Dieselben Kriterien sind zu erfüllen und es sollte in der Abwicklung möglichst einfach sein. Also: mit höchster Serviceorientierung.
Wie sieht Ihre Zielgruppe aus?
Meine Zielgruppe bewegt sich quer durch alle Branchen mit einer gewissen Konzentration auf den Finanzdienstleistungssektor, in dem ich selbst lange tätig war. Aber vom Maschinenbauer über Microsoft bis hin zu Großbäckereien ist bei uns jede Branche vertreten. Wir unterstützen alle Unternehmen, die bereit sind, neue Wege zu gehen. Entweder weil sie sich verändern müssen oder weil sie es wollen.
Welcher ist aus Ihrer Sicht der größte Fehler, den Unternehmen im Umgang mit ihren Kunden machen?
Der größte Fehler ist die Sicht von innen nach außen. Die Unternehmen wissen vielfach gar nicht, was ihre Kunden wirklich wollen beziehungsweise glauben es zu wissen. Da muss man genau hinschauen, um herauszufinden, was der Kunde denkt. Das gelingt im Grunde ganz einfach durch intensives Zuhören. Der Kunde kennt zwar nicht die Lösung, aber er kann seine Ansprüche formulieren. Davon ausgehend muss im nächsten Schritt das Mindset verändert werden – und zwar im gesamten Unternehmen. Die Sicht sollte künftig von außen nach innen erfolgen. Das erfordert eine kreative Leistung. Nach Facebook oder dem Smartphone hat auch kein Kunde gerufen, aber nun sind diese Produkte nicht mehr wegzudenken. Das sind alles Innovationen, die nicht „Made in Germany“ sind.
Ist es ein deutsches Phänomen, dass der Kunde offenbar nicht im Mittelpunkt der Unternehmen steht? Können wir hier von anderen Nationen etwas lernen?
Man muss im Kopf des Kunden sein. Ich behaupte, dass 90 Prozent der deutschen Unternehmen das noch nicht verstanden haben. Jenseits des Großen Teiches ist man da schon deutlich weiter. Airbnb beispielsweise vermittelt etwa 240.000 Übernachtungen am Tag. Bevor das Unternehmen gestartet ist, wurden selbst Schlafgelegenheiten ausprobiert, um zu verstehen, was für die Kunden wichtig ist. Oder der Online-Vermittlungsdienst von Fahrgästen Uber, der steht zwar gerade in der Kritik, aber der Ansatz ist richtig, denn die Macher sind erst wochenlang mit den Kunden mitgefahren. Diese Art muss in Deutschland erst gelernt werden und das schnell, wenn man den Anschluss an den Weltmarkt nicht verlieren möchte. Im Silicon Valley ist man schon viel weiter. Hier hat man den Weltmarkt im Visier und das Verständnis „Unsere Kunden sind alle“. In Deutschland ruht man sich zu sehr auf dem Label „Made in Germany“ aus. Das ist eine gefährliche Entwicklung.
Ihr Terminkalender ist recht voll. Wie bekommen Sie den Kopf frei für neue Ideen?
Am besten beim Joggen oder Autofahren. Ich bin ein Infoholiker. Ich höre zu, ich lese viel und setze die Dinge wieder anders zusammen. So entstehen neue Ideen und Lösungen.
Vielen Dank für das Gespräch.
von Dr. Eike Birck im TradeTalk-Interview mit Edgar K. Geffroy